Der Leuchtturm auf dem Fastnet Rock ist der Vorposten Europas im Atlantik. Aber für Segler bedeutet er mehr. "Segel-Journal" hat Hans-Harald Schack hingeschickt.

Fastnet Rock - Irlands Schicksalsstein

Der Felsen und sein Turm
Der Felsen und sein Turm

Das südlichste Sück Irland ist ein kompakter Felsen von der Größe eines Mietshauses. Auf der Ostseite wurde das natürliche Gestein mit Beton aufgerüstet, auf der Weststeite steht ein weißer, aus Granitblöcken zusammengefügter Turm, der über das Fels-und Beton-Ensemble empor ragt. Höhe des Turms 54 Meter, Höhe des Feuers 49 Meter über mittlerem Springhochwasser: 1 weißer Blitz alle 5 Sekunden. Tragweite 27 Meilen. Keine Menschenseele haust auf Fels und Turm, nur Möwen und Basstölpel.

 

Das ist Fastnet Rock, viel mehr ist da nicht.

 

„Ich will alles über Fastnet Rock wissen, die ganze Geschichte“, sagt Detlef Jens, Chefredakteur dieses Magazins. „Und lass nichts aus“, ruft er mir hinterher. Ich entsinne mich dunkel, dass er das fürchterliche Fastnet Race 79 gesegelt ist. Einem solchen Mann widerspricht man nicht.

 

Cork County im Südwesten Irlands ist voller Berge, Felsen und Fjorde. Die Gegend entstand durch einen geologischen Hebungsprozess, verrät mir ein Kneipengast in Baltimore, es ist das gebirgigste Stück Irland. 250 Millionen Jahre und einige Klimawandel später – die Evolution hatte inzwischen Menschen hervorgebracht – etablierte sich ein frommes, streitbares und seetüchtiges Volk auf der Insel. Der Mönch Brendan segelte in seinem Lederboot nach Amerika, der König von Connacht organisierte den Widerstand gegen die Wikinger, die ebenfalls ein streitbares und seetüchtiges Volk waren und Irland als Selbstbedienungsgebiet betrachteten. 1462 war Amerika trotz Brendan und Erik dem Roten eher ein Seefahrergerücht als eine Gewissheit, aber eine Seekarte verzeichnete bereits den Namen „fastanai“.

 

Der letzte Brocken Land

 

Mitte des 19. Jahrhunderts wird Fastnet Rock die „Träne Irlands“ genannt. Du kannst einen Iren aus Irland entfernen, aber niemals Irland aus einem Iren, heißt es. Der Felsen war das letzte, was irische Auswanderer von der Heimat sahen. Seuchen, vor allem Typhus, und Hunger dezimierten die 8-Millionen-Bevölkerung um zwei Millionen, weitere zwei Millionen wanderten aus. Cork an der Südküste war ein Sprungbrett in die neue Welt.

 

Die „Titanic“ warf im Hafen von Cork ein letztes Mal Anker, der Norddeutsche Lloyd hatte hier eine eigene, jetzt verfallene Pier. So wehmütig die Ausreisenden auf das Feuer geschaut haben mögen, wichtiger war es für die Schiffe, die von Westen kamen. Wenn der weiße Blitz in der Kimm erschien, hatte man Europa erreicht und einen sicheren Abgangsort für die Ansteuerung der Irischen See oder des Kanals.

 

Der erste Leuchtturm stand auf Clear Island, der bewohnten Insel nordöstlich von Fastnet Rock. 161 Meter hoch über dem Meer, schickte er seit dem 1. Mai 1818 sein Licht hinaus auf See, zu oft aber auch nur in die tief dahinjagenden Wolken. 1847 lief der Dampfer „Steven Whitney“, mit einer Ladung Baumwolle, Mais, Uhren und Käse von New York kommend, bei Calf Island auf Grund, von 109 Menschen an Bord verloren 92 ihr Leben. Dieses Unglück war der Anlass, ein Feuer auf Fastnet Rock zu errichten – frei von Küstennebeln, unterhalb der Wolkendecke, auf See aus jeder Richtung anzupeilen.

 

Dem ersten gußeisernen Turm, der 1854 seinen Dienst aufnahm und 1865 mit Versorgungseinrichtungen ausgebaut wurde, folgte 60 Jahre später der heutige steinerne Turm. Seine Granitblöcke wurden an Land gefertigt und millimetergenau zusammengefügt, bevor sie wieder auseinandergenommen und auf einem eigens dafür gebauten Dampfer nach Fastnet Rock verschifft wurden. Steinbrucharbeiter hatten in den Felsen ein Fundament gehauen, 6 Zoll unter der Hochwassermarke. Der Fuß des Turmes ist selbst bei leichtem Seegang von Brechern umspült. Aber die bis zu 5 Tonnen schweren Granitblöcke sind weniger anfällig für Erosion als der natürliche Fels. Dieser über hundert Jahre alte Turm steht noch heute.

 

Soviel zur Geschichte.

 

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Die für einen Segler adäquate Art, sich Fastnet zu nähern, ist die Anreise auf eigenem Kiel. Am besten natürlich als Teilnehmer am Fastnet Race. Es ist die abschließende Langstreckenregatta der Cowes Week, wird inzwischen von Rolex gesponsort und war in der Teamwertung des Admiral’s Cup mit dreifacher Punktzahl das entscheidende Rennen. Den Admiral’s Cup gibt es seit 1999 nicht mehr, aber das Fastnet Race hat an Attraktivität nichts eingebüßt.

 

Weston Martyr, ein enthusiastischer junger Engländer, der am Bermuda Race teilgenommen hatte, schrieb 1924 in seinem Bericht für ein Magazin, dass das Hochseesegeln die vollkomenste Sportart überhaupt sei, denn es erfordere Kompetenz, Mut und Ausdauer. Daraufhin gründete er, gemeinsam mit dem Chefredaktdeur des Blattes, das erste englische Hochseerennen, das Fastnet Race. Sieben fahrtentaugliche Yachten starteten vom Royal Victorian Yacht Club, wobei ihnen freigestellt war, in welcher Richtung sie um die Isle of Whight und um die Wendemarke Fastnet herumsegeln wollten.

 

Das anspruchsvollste Rennen, das heute zum Fastnet Rock führt, ist das Round Britain & Ireland Race des Royal Ocean Racing Club (RORC), ein 1800 Meilen langes Nonstop-Rennen für vollbemannte Yachten. Britanniens Hochsee-Heldin Ellen MacArthur hält das „Round Britain“ für weitaus anstrengender und schwieriger als eine Atlantik-Regatta. Auch für die Teilnmehmer des berühmten „Round Britain & Ireland Yacht Race“ (www.rbandi.com) ist Fastnet nicht viel mehr als ein Wegepunkt. Immerhin machen sie, da es ein Etappenrennen ist, einen Stopp in Kinsale.

 

Eine ziemlich stressfreie Methode, sich Fastnet zu nähern, ist es, ab München für 39 Euro einen Direktflug nach Cork zu nehmen, sich vom Bentley des Blue Haven Hotels nach Kinsale bringen zu lassen (60 Euro, ein Taxi kostet knapp 50 Euro), in einem der hervorragenden Restauraunts („Max’s“, „The Spaniard“) zu speisen und tags darauf loszusegeln. Kinsale ist als Gourmet-Dorado berühmt, selbst Fish & Chips nebst einer Flasche Bier kosten am Hafen 15,70 Euro. Wer’s etwas – aber nicht viel – billiger haben will, isst und trinkt in der zweiten Reihe. In „Sam’s Bar“ (ein Pint Smithwick’s für 4 Euro) diskutiert eine Runde Einheimischer angeregt über ein Thema, das dem Gast aus Resteuropa verborgen bleibt, denn sie sprechen tatsächlich Irisch, ein gälisches Idiom, das im Alltagsleben vor allem auf Straßenschildern präsent ist. „An Charraig Aonair“ beispielsweise bedeutet Fastnet Rock, was aber nur Heimatkundler wissen.

 

Das Städtchen Kinsale lebt von Sehleuten und Seglern. Während der Cork Week oder wenn die Volvo-Ocean-Flotte oder das Clipper Race Station machen, wird die Stadt für Autos gesperrt. Segellehrer marschieren ungefährdet mit ihren Kindern über die Hauptstraße. Das Städtchen brummt, und abends, zur disco time, dröhnt es.

 

Abstecher nach Adrigole

 

Wer sich auf der Suche nach Fastnet Rock auf Abwege begibt, gelangt vielleicht nach Adrigole Bay, einem Appendix der Bantry Bay. Hier haben sich auch Deutsche niedergelassen. „Charlie“, wie ihn die Iren nennen, ist reich und bewohnt nur zwei, drei Wochen im Jahr sein herrschaftliches Haus, in dem es ein großes Arbeitszimmer, aber nur ein Schlafzimmer gibt (was die Iren wundert, denn wo sollen die Gäste schlafen?). Aber Charlie ist eh selten da, vermutlich muss er arbeiten. Sein deutscher Nachbar repräsentiert einen anderen Lebensentwurf. Er kleidet sich naturnah und wohnt mit seiner Frau in einer sehr bescheidenen Hütte. Gelegentlich sieht man ihn, wie er sich sich im Meer wäscht, weil er von der Behörde keine Genehmigung bekommt, Wasserleitungen zu legen.

 

Die wesentlichen Wirtschaftsfaktoren an der Bay aber sind nicht die Deutschen, sondern die Muschelfarm und das „West Cork Sailing and Powerboat Centre“. Es ist, auf den ersten Blick, eine unauffällige Segelschule wie viele andere auch. Ein Segeltag ist zuende, Kids sprinten im Neopren über die Pier und springen ins Wasser, nachdem sie ihre Schulboote hinterm Haus abgestellt haben.

 

Die kleine Segelschule bietet ein Vollprogramm, vom Anfängerschein bis zur Segellehrer-Ausbildung und zum Berufsskipper-Kurs, der ein halbes Jahr dauert, Training in der Karibik umfasst und 13.000 Euro kostet. Für Frauen gibt es einen eigenen Törn. „Frauen über 40 ticken anders als 16-jährige Jungs“, die vor allem geil segeln wollen, wie Gail MacAllister (44) beobachtet hat.

 

Ihr Mann Niall (43) kam per Zufall zum Segeln. Sein Vater fand, Segeln sei etwas für reiche Leute, und war prinzipiell dagegen, aber die Mutter schickte den Jungen zum Segelkurs der Schule. Für sie war das vor allem kostenlose Kinderbetreuung, Niall fand seine spätere Berufung. (Der irische Name Niall spricht sich mit einem einfachen „i“ wie der englische Neill aus. Die meisten Engländer sprechen das „ia“ aber wie in „dial“ aus, womit sich Niall inzwischen abgefunden hat.)

 

Wir segeln hinaus in die Bay, vorbei an Hungry Hill. Dieser 680 Meter hohe und immer nasse Berg spielt eine Schlüsselrolle in Flann O’Briens so schmalem wie genialen Werk „Irischer Lebenslauf“. Wer das gelesen hat, sieht klarer in Sachen gälischer Lebensart.

 

Hungry Hill und Adrigole Bay
Hungry Hill und Adrigole Bay

Mit an Bord sind Maja (30), eine deutsche Wirtschaftsinformatikerin, die sich sich eine Auszeit von der deutschen Arbeitswelt genommen hat und an der Segelschule für Kost und Logis und eine Handvoll Euro „alles“ macht. „Das hier ist mein Paradies“, sagt sie. Josep (40) kommt aus Spanien, Paul (19) aus der Bretagne, Robin (19) aus Südafrika. Wir diskutieren über Sprachen, und Niall erzählt, dass er Irisch zwar kann, aber nicht braucht, dass er Bretonisch und Schottisch ganz gut versteht, Walisisch dagegen kaum. Auch sein Spanisch sei nicht sehr gut, und sein Deutsch beschränkt sich auf „Jägermeister“, „Achtung“ und „Danke“.

 

Wir halten Ausschau nach Walen, aber die sieht man eher im Frühjahr und im Herbst. Ist dies ein schwieriges Gebiet für Fremde? „Einfacher als die Bretagne. Man sollte die Gegend aber nicht unterschätzen. Wir haben hier drei bis vier Knoten Strom, und wenn bei Sturm die Welle gegenan läuft, sollte man woanders sein.“ Niall hat da draußen einen Sturm unter Treibanker abgewettert, er hat sogar zeitweise mit der Maschine Rückwärtsschub gegeben, um nicht querzuschlagen. (Ich kann es mir nicht vorstellen, aber ich werde es mir merken.) Zuvor hatte ein Brecher die Sun Odyssee 37 auf die Seite gelegt. Die Rudergängerin, die die Ausbildung zur Profi-Skipperin machte, schleifte außenbords am Gurt durchs Wasser, die Relingstützen waren verbogen. „Wir kamen von Frankreich und dachten, das letzte Stück schaffen wir auch noch. Wir haben alle was gelernt an diesem Tag.“

 

Trotzdem hält Niall die Gegend zwischen Bantry und Fastnet für ein sicheres Segelgebiet, wenn man die Regeln kennt.

 

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Direkt vor Fastnet Rock liegen Shear Island, Sherkin Island und die „Haseninsel“ Heir Island. Es gibt keinen Pub, dafür ein Gourmet-Restaurant, das als unscheinbares Cottage getarnt ist, und eine Segelschule, deren Inhaber gleichzeitig der Fährmann ist. 27 Bewohner im Winter, bis zu 150 im Sommer. Gubby Williams ist Eigner einer 32-Fuß-Slup von Laurent Giles. „Baujahr 1956, fast alles original.“ Ein schönes Schiff, das er jetzt verkaufen will.

 

Er kann sich an die Nacht vom 14. August 1979 erinnern, als die Fastnet-Flotte ums Überleben kämpfte. „In unserem Haus zitterten die Wände, wir haben gedacht, das Dach fliegt weg.“ Ein Freund von ihm war draußen auf See, seine Crew verlor zwei Mann. Viel mehr sagt Gubby nicht, nur dass ich etwas weniger Höhe laufen soll. Dann bereitet er einen „Hot Whisky“ zu, die lokale Variante des Grog. Selbst bei harmlosen vier Windstärken spürt man, dass draußen am Felsen Dünung, Windsee und Strom eine komplizierte Wechselbeziehung eingehen. „It’s the sea bed“, sagt Gubby, der Grund um den Felsen herum ergebe das konfuse Wellenbild.

 

Es gibt viele Bücher über das Fastnet-Race 1979, die bekanntesten sind die Reportagen von John Rousmaniere („Fastnet, Force 10“) und Svante Domizlaff („Yachten im Orkan“). Beide sind mitgesegelt, Domizlaff auf dem deutschen Admiral’s Cupper „Tina“. Das aufregendste Buch aber hat der Brite Nick Ward 25 Jahre nach dem Rennen beigesteuert. Er ist der letzte, den die Retter lebend bargen. „Left for dead“ erzählt die Geschichte zweier Männer, die von ihren Crewkameraden allein gelassen werden.

 

Ward erzählt, wie die 30-Fuß-Yacht „Grimalkin“ im Sturm hoffnungslos überfordert ist. Er schildert minutiös das Martyrium der Crew, die immer, wenn der Leser denkt, schlimmer kann’s nicht werden, erfahren muss: doch, es geht noch schlimmer.

 

„Um Himmels Willen, Nick, halt fest“, schrie Mike. Zu spät, einer dieser wandernden Berge aus Wasser hatte beschleunigt und sich auf „Grimalkin“ gestürzt. Wir wurden alle nach oben geschleudert, bevor wir auf einem Haufen ins Cockpit krachten. Ich fiel auf Gerry, dessen Körper sich vor Schmerz spannte. „Checkt die Lifebelts“, rief Mike am Ruder, in der Dunkelheit kaum zu sehen, im Sturm kaum zu verstehen.

 

Die Yacht wird noch mehre Male kentern, die Crew etliche Male wieder an Bord klettern. Keine der üblichen Sturmtaktiken funktioniert. Den Tod des Skippers bekommt Nick Ward nicht mit, denn zu dem Zeitpunkt liegt er bewusstlos unter den Trümmern des Riggs. Dafür wird er später, als die anderen mit der Rettungsinsel fort sind, ohnmächtiger Zeuge von Gerrys Sterben. Dass er selbst überlebt, ist ein Wunder, das versteht man beim Lesen. Der 14. August 1979 verändert Wards Leben und auch das derjenigen, die in die Rettungsinsel gegangen waren und eine Stunde später gerettet wurden.

 

Es ist eine Geschichte auch vom Unvermögen, unter unmenschlichen Bedingungen die menschlich richtige Entscheidung zu treffen. Joseph Conrad hat sich dieser Frage öfter gewidmet, am überzeugendsten in seinem „Lord Jim“.

 

So oft kann man lesen oder hören, dass man die See „nicht unterschätzen“ soll, aber nur selten kommt die Botschaft an. In „Left for Dead“ (deutscher Titel: „Allein mit dem Tod“) ist das der Fall. Die englische Taschenbuch-Ausgabe enthält einen Epilog, in dem die deutsche Yacht „Tai-fat“ ins Spiel kommt. Man sollte darauf achten, dass man diese Version erhält, und nicht die Erstausgabe. Denn „Tai-fat“ war der unsichtbare Schutzengel des Überlebenden der „Grimalkin“ und gibt der Geschichte eine neue Dimension.

 

***

 

„Was hast du denn damals am Felsen erlebt?“ frage ich der Vollständigkeit halber Detlef Jens.

 

„Ich war gar nicht da. Wir hatten das Glück, nicht im AC-Team zu sein, da hätten wir wohl noch weiter Regatta versucht. Wir sind ein paar Meilen vor dem Turm in den Survival-Modus gegangen. Als der Orkan sich ausgeweht und wir überlebt hatten, verspürte an Bord niemand mehr das Bedürfnis, noch um den Felsen herum zu kreuzen, also sind wir nach Plymouth zurück gesegelt.“

 

Der Fastnet Rock scheint ein Ort der Entscheidungen zu sein für Segler, Schiffbrüchige und Iren. Gehen oder bleiben, durchhalten oder aufgeben, kämpfen oder flüchten. Man findet diese Magie seltsamerweise nicht bei künstlichen Mahnmalen oder auf Felsen wie Helgoland.

(SEGEL-Journal 05/10)