Inzwischen wissen wir's ja...

Inzwischen wissen wir, wer 2010 den America's Cup gewann. Ich lasse den folgenden Text trotzdem stehen. Die Woche in Valencia war für mich interessant, weil ich gute Leute kennenlernte, vor allem im BMW-Lager, weil mich Russell Coutts (den ich vorher in München gesehen hatte), Rolf Vrolijk, Wettfahrtleiter Harold Bennet und Larry Ellison beeindruckten. Weniger schön war, dass es kalt und zeitweise so stürmisch war, dass mir beim Joggen auf der Promenade das Gebiss versandete. Die Rennen wurden dauernd verschoben, und als am Freitagnachmittag endlich der erste Startschuss fiel, saß ich im Taxi zum Flughafen. Meine Frau hielt mich per Handy auf dem Laufenden, sie sah das Rennen zu Hause im Fernsehen. Mein Kollege Detlef war nach mir in Valencia, und am meisten beeindruckte ihn, wie froh die Amerikaner waren, als sie endlich den Wing legen konnten. 

 

Nach dem Cup wusste jeder, dass BMW-Oracle am Ende konsequent zum Leichtwindschiff getrimmt worden war, beispielsweise wurde der Mast um 11 Meter auf 68 Meter erhöht. Dadurch wanderte der Schwerpunkt zwar noch ein bisschen höher, aber der Topp wurde auch schmaler und der Windwiderstand ("drag") reduziert, der Wing noch kraftvoller. Ich hörte, dass man bei "Alinghi" versucht hat, die vermeintlichen Schwächen bei stärkerem Wind zu reduzieren. Aber das konnte sie nicht unter Beweis stellen. Den folgenden Text schrieb ich ein paar Wochen vor Cup.

Schack in Valencia
Vor dem Start

Wer gewinnt den America's Cup?

Experten halten sich bedeckt, was die Aussichten von "Alinghi 5" und Ellisons "USA" angeht. Nigel Irens, erfolgreichster Multihullkonstrukteur der Welt (seine Schiffe brachen reihenweise Hochsee-Rekorde und gewannen alle namhaften Rennen), hält sich mit seiner Prognose zurück. Ich habe den Eindruck, beim "Alinghi" war man in letzter Zeit in etwas angespannter Stimmung. Irens ist Berater des Kronstruktionsteams und sagte zum Schluss nichts mehr über das Boot, obwohl er sonst eigentlich ganz auskunftsbereit ist. Irens zufolge hat Alinghi das Optimieren von tausend Details hervorragend betrieben und man schien zunächst guter Dinge.

 

Dann kamen die Amerikaner mit ihrem Wing-Rigg. Es segelt 2-3 Grad höher am Wind und lässt sich - wie sich im Hafen von San Diego zeigte - hervorragend manövrieren. Und es scheint standfest zu sein. Russell Coutts verkündete in München, dass sie mit dem Rigg locker bis 25 Knoten Wind fahren könnten, und das ist deutlich mehr, als die Konstrukteure von Alinghi vor Augen hatten, als sie das Boot dimensionierten. Mastermind Rolf Vrolijk sagte, dass auch Alinghi einen Wing erwogen hatte, man habe aber mangels Zeit davon abgesehen. Es hätte nicht fürs Optimieren gereicht... Die Frage bleibt, ob die Amerikaner mit dem 1.0-Wing glücklich werden. Die "Soft Sails" der Schweizer sind ja auch keine soften Lappen, sondern definierte Profile und, so Irens, um Welten besser als alles, was man zu Conners Zeiten am Mast hochzog. 

 

Natürlich sind die Skipper fleißig am Trainieren, man kann jede Situation sehr schön im Simulator durchspielen. Im Gegensatz zu 1988, als Conner mit seinem Wing-Kat dem Gegner einfach wegfahren und damit Nahduelle vermeiden konnte, sieht der eine oder andere Skipper diesmal vielleicht sein Heil darin, den Gegener taktisch zu beherrschen und zu Fehlern zu zwingen. Da dürfte "USA" im Vorteil sein, die in Wendeduellen den Schweizern vermutlich überlegen sind. Der Tri dreht leichter.

 

Das Starrflügel-Rigg hat einen gewichtigen Nachteil: Toppgewicht. Auch wenn Coutts behauptet, die Welle mache ihnen nichts aus - ein Stecker würde das BMW-Oracle-Boot vor Probleme stellen. Vor Valencia ist selbst bei westlichem, also ablandigem Wind durchaus Seegang zu erwarten, dann die Kreuz beginnt mehr als 20 Meilen weit draußen. Und mit dem 3500 Kilogramm schweren Wing (Angabe des Teams) gibt es ein Problem mit dem Trägheitsmoment des Riggs. Zweitens: Windwiderstand im Top. In 57 Metern Höhe ist der Wing mit seiner aufwendigen Mechanik auch ein ziemlicher Windfänger.

 

Zudem kommen die Amerikaner offenbar später mit Mittelrumpf und Schwimmer aus dem Wasser als die Schweizer mit ihrem Luvrumpf.

 

Bei leichtem Wind sind vermutlich die Schweizer im Vorteil (sagt Coutts - ein Bluff?), bei alter Welle und abflauendem Wind auch. Bei mehr Wind und guten Seeverhältnissen könnte der Vorteil bei den Amerikanern liegen, falls sie nicht pitchen (stampfen). Irens meint, dass jedes Schiff bei einer bestimmten Wellenfrequenz zum Pitchen neigt, aber viel Toppgewicht verstärkt die Neigung natürlich.

 

Die Schweizer müssen einfach mehr boat speed haben als die Amerikaner, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass USA auf der Kreuz ihnen mit 8° am scheinbaren Wind wegläuft, während sie selbst nur um die 12° schaffen.

 

Wenn ich wetten müsste, würde ich zuerst in die Wettervorhersage schauen. Ich vermute, dass die Schweizer schneller sind und in den letzten Wochen alles getan haben, um auch bei mehr Wind nicht Druck aus dem Rigg nehmen zu müssen.

 

Ich bin mir sicher, dass die Teams durch Spionage ("Aufklärungsarbeit") recht gut über ihren Gegner Bescheid wissen, selbst wenn der unter Beobachtung nur mit angezogener Bremse segelt. Im Moment, eine Woche vor dem geplanten 1. Start, machen mir die Amerikaner den zuversichtlicheren Eindruck. Jetzt wird geblufft. Fünf Minuten nach dem Start werden wir alle klüger sein.

 

 

++++ Update 48 Std. vor dem Start: Alinghi hat bei den letzten Trainingsfahrten die Beobachter verblüfft, sie segelte deutlich höher am Wind als erwartet. Trotzdem sind wir noch nicht wirklich schlau.