Santa Maria Manuela

Die Heilige von den Grand Banks

Die Santa Maria Manuela ist ein Arbeitsschiff, das seinen Charakter erhalten hat

Nachts, wenn du dich aufs warme Teakdeck legst, sieht es so aus, als ob der Himmel über dir hin und her schwingt. Die gewaltigen Stahlmasten und die Schonersegel sind feste Schatten im Himmel, verbunden durch die Wanten, Preventer und Fallen. Und darüber schwingen die Sterne von Backbord nach Steuerbord und zurück, der Große Wagen, Venus, Cassiopeia  und die Milchstraße. Sobald du dich wieder hinstellst und das Meer oder wenigstens den Schimmer der Bugwelle siehst, ist alles wieder richtig: das Universum steht fest, und das Schiff pflügt mit wiegendem Rigg durch die Atlantik-Dünung nach Westen, Richtung Madeira.

 

So werden es vor fast achtzig Jahren vielleicht die Jungen an Bord der „Santa Maria Manuela“ erlebt haben. Unter Deck gab es gut dreißig Schlafplätze für 65 Fischer, und solange das Wetter gut war, schliefen viele sicher an Deck in den gestapelten Dorys.  Ein Film von 1966 zeigt das Leben an Bord eines portugiesischen Fischereischoners. Einer der Männer, 60 Jahre alt, war bereits auf seiner 52. Neufundlandreise. Er war Fischer,  im Winter an Land, im Sommer auf See. Zwölf Stunden Fischen pro Tag, in jedem Dory ein Mann, der erst wieder zum Schoner zurück ruderte, wenn sein Boot fast bis zum Dollbord voll war mit Kabeljau, auf portugiesisch: bacalhau. Nach dem Fischen sechs Stunden lang die Fische ausnehmen, salzen, stauen. Ein paar Stunden Schlaf, dann wieder raus aufs Meer. Das Ausbringen der Leinen mit den Haken dauerte zwei Stunden, das Einholen ebenfalls. Das Schiff, die Kleidung der Männer – alles voller Schuppen und Blut, die Hände rissig. Nicht jedermanns Sache, aber wer „Bacalhau“-Fischer war, war stolz darauf. Einige verschwanden im Sturm und im häufigen Nebel auf den Grand Banks.

 

Das Schiff, mit dem wir von Lissabon nach Madeira segeln, ist die „Santa Maria Manuela“. Es gab keine heilige Maria Manuela, aber es war Tradition, Fischereifahrzeuge nach Heiligen oder Heiligem zu nennen. Der Eigner hat 1938 seinen neuen Schoner nach seiner Frau, die ihm sechzehn Kinder geschenkt hat, benannt und ein „Santa“ davorgesetzt. Wenn seine Heilige die Grand Banks vor Neufundland erreichte, eröffnete der Kapitän mit „vá com deus“, („geht mit Gott“) die viele Wochen dauernde, gefährliche Fangzeit.

 

„Sie ist ein ganz modernes Schiff“, sagt heute Kapitän Antonio A. Cosme Curto (62), „sie wurde 2010 praktisch neu gebaut.“ Ausrüstungstechnisch stimmt das, nur der genietete Rumpf ist noch der alte. Und auch der ist gar nicht so alt, denn der Fischereischoner wurde erst 1937 auf Kiel gelegt. Da war die Zeit der Berufssegler eigentlich schon vorbei. Nur für diese althergebrachte Form der Fischerei, bei der ein großes Mutterschiff über eine Flotte von mehr als 60 Ruderbooten wacht, machte ein 4-Mast-Schoner noch Sinn, und der ging schon damals übers Ökonomische hinaus. Beispielsweise waren die portugiesischen Fischereischoner auch im 2. Weltkrieg weiß gemalt, in der Hoffnung, dass sie so als neutrale Fischer erkannt und von U-Booten verschont wurden.

 

Das Schiff war bereits ausgeschlachtet und sollte verschrottet werden. Wirtschaftliche Gesichtspunkte... Doch da besannen sich Nachfahren des ersten Eigners darauf, dass hier ein Stück portugiesische Seefahrtsgeschichte (und Familiengeschichte) eingeschmolzen würde und beschlossen, das Schiff zu einem neuen Leben als Segler mit Gästen – man selber ist ja nie Tourist – zu erwecken. 

 

Ruder, Masten, Deck und Aufbauten wurden bei der Renaissance der „Santa Maria Manuela“ in der Form originalgetreu nachgebaut, aber eben neu. Die schweren Schotten mit Vorreibern, die Gänge unter Deck – das ist alles pure Seefahrt anno 2010 und später. So würden sie auch heute zu den Grand Banks segeln dürfen, wenn es das noch gäbe. 

 

Die Maschinen-Anlage, die uns leise vibrierend durch die Flaute treibt, besteht aus zwei modernen 450-kW-Volvo-Dieseln, von denen einer reicht, um das Schiff mit Marschfahrt voranzubringen. Der zweite gibt Sicherheit und mehr Speed, wenn es mal nötig ist.  Chief-Ing. Antonio Carreira versorgt interessierte Besucher mit Ohrstöpseln und führt sie durch sein Reich: Neben den Antriebsmaschinen gibt es vier Generatoren, eine Abwasseraufbereitungsanlage, sechs Watermaker, die unter hohem Druck Seewasser in wohlschmeckendes Trinkwasser verwandeln, diverse Boiler, Kompressoren und Kontrolltafeln. Genug Arbeit für zwei Ingenieure und einen „Engineer Cadet“. 

 

Die Gäste und Trainees an Bord nehmen die Maschine kaum wahr, interessanter sind die Segel. Ein Schoner-Rigg ist die ökonomischste Takelage für einen Großsegler. Man kann damit höher am Wind segeln als mit Rahsegeln, und man kommt mit weniger Crew aus.

 

Wenn es aufbrist und die Crew die Segel „kürzt“, sind sie auch auf diesem Schoner mit vier oder fünf Mann an einem Segel zugange, und der Erste Offizier (first mate)  leitet das Manöver. Oder der Bootsmann (bosun), wie es gerade kommt. Es ist auch für Segler ziemlich eindrucksvoll, die Leute mit den riesigen Segelfächen hantieren zu sehen, aber es wirkt auch sehr unaufgeregt. Auf einem großen Schiff zu segeln, ist mit sportlicher  Segelei, auch auf großen Yachten, nicht zu vergleichen. Es ist einerseits harte Arbeit, aber das Wichtigste ist (und das gilt natürlich auch auf kleineren Schiffen), dass die Crew die Segel unter Kontrolle hat. So haben die gewaltigen Gaffeln außer Piek- und Klaufall eine eigene Schot, und jeder Baum wird beim Wenden gesichert auf die andere  Seite geführt.

 

Was die professionelle Bespaßung von Gästen angeht, sind die portugiesischen Berufsseeleute liebenswerte Amateure. Keine Entertainer. Sie lassen dich, professionell gesichert, ins Rigg klettern. Du wirst zur Wache eingeteilt, hast aber möglicherweise nichts zu tun, denn der Schiffsbetrieb läuft auch mit kleinem Team völlig reibungslos. „Das gemütliche Leben im Moment täuscht“, sagt first mateFrancisco, der schon vor seiner Nautiker-Ausbildung auf Großseglern gefahren ist. „Wenn wir Regatta segeln, dann haben unsere Trainees reichlich zu tun, und dann steht auch immer einer am Ruder.“ Im Normalbetrieb nimmt ein Autopilot der Crew die Arbeit des Rudergehens ab. Sie halten natürlich Ausguck, aber auf die moderne Art: der oder die Offiziere im Brückenhaus überwachen ihre Umgebung auf einem Radarplotter, navigieren mit einem ECDIS und parallel dazu mit einer Papierseekarte, die sich im schweren Seegang partout nicht auf dem Kartentisch halten will. Den klassischen Ausguck auf der Back, der mit seinen Augen den Nebel zu durchdringen versucht... das ist nur noch Seefahrtsromantik. Trotzdem suchen immer Augen die Wasseroberfläche ab, nur sind sie heute die Ergänzung der Elektronik, und nicht umgekehrt.

 

Die Gäste haben manchmal abenteuerliche Wünsche, aber sie werden meistens erfüllt. Eine 85-Jährige stieg auf dem Atlantik ins Schlauchboot, um gute Bilder vom Schiff unter Segeln zu bekommen. Eine deutscher Segelverein rückt jedes Jahr mit 50 Leuten an, die, so Kapitän Cortu anerkennend, „überall mit anpacken und viel vom Feiern verstehen“. Die Passagiere, die nicht Passagiere oder Gäste heißen sondern „Trainees“, können Wache gehen, müssen es aber nicht. Jedenfalls nicht die Erwachsenen. Bei den Jugendlichen, die an Bord kommen um was lernen, gibt es solche Ausnahmen nicht, und auch auf Pünktlichkeit wird geachtet.

 

Die Trainees gewinnen manchmal weit mehr als eine seemännischen Ausbildung. „Ich erinnere mich an ein schwedisches Mädchen“, erzählt der Kapitän, „sie war groß, blond und hatte ein abweisendes Gesicht.“ Er nahm sie zu einem Dinner mit anderen Kapitänen mit. „Ich fragte sie dann, warum sie immer so grimmig schaut.“ Plötzlich weinte sie. Es kam heraus, dass sie unsicher war und Angst hatte, keine Freunde zu finden. Er riet ihr: Wenn du dich in einer schwierigen Umgebung unsicher fühlst, dann schau wenigstens freundlich und lächle mal. Am Ende der Reise fühlte sie sich glücklich an Bord und war nicht wiederzuerkennen.

 

Auf der Fahrt nach Madeira bekommen wir den Seegang eines ausgewachsenen Sturmtiefs nördlich von uns zu spüren, was bei schwächerem Wind kein Vergnügen ist, vor allem wenn die See genau von der Seite kommt. Manche der Trainees sind etwas blass, berappeln sich aber im Lauf der Reise. Sie nehmen an Knotenkursen teil, wo die Crew einem – je nach Vorbildung – so nützliche Dinge wie den Palstek oder den Diamantknoten beibringt, welcher bei Dyneema-Softschäkeln Verwendung findet. Harry aus Berlin, der vor Jahrzehnten mal einen Sextanten in der Hand gehalten und sich mit Astro-Navigation befasst hat, leiht sich im Kartenhaus einen der beiden Sextanten und schießt stundenlang die Sonne, bis er’s wirklich kann. Manche liegen im Liegestuhl an Deck, andere klettern – beaufsichtigt von Bootsmann Ivo und Deck Cadet Pedro – auf den Klüverbaum. Delphine spielen ums Schiff, giftige Quallen vom Typ Portugiesische Galeere segeln scheinbar harmlos an der Wasseroberfläche. Die „Santa Maria Manuela“ eilt unter weißen Segeln ihrem Ziel entgegen, das sie pünktlich erreicht. 

 

Am Beginn der Reise hatte sich die ganze Crew zur Begrüßung der Gäste an Deck aufgestellt, jetzt tut sie es wieder – aber nun kennen wir die Gesichter. Kapitän Cortu stellt den Trainees, unabhängig vom Grad ihrer Aktivität, ein „Diploma“ über 534 Meilen aus. Die erste Fahrt des Jahres war für die Gäste an Bord ein Spaziergang. Als nächstes stehen das Tall Ships Race und die Nordsee auf dem Programm. Die Deutschen haben wieder gebucht, und ein paar Dutzend Jugendliche werden lernen, worauf es auf See und in einer Crew ankommt. 

 

www.santamariamanuela.pt/pt