Reisetagebuch 29.05.2014

Jeder ist, was er ist

Switzerland Harry Schack ClipperRace Segeln

Wir haben heute die Atem-Fontänen eines Wals gesehen. Oder waren es zwei?

 

Jedenfalls waren es zwei Fontänen, aber nicht gleichzeitig. Entfernung 200 Meter, das Tier oder die Tiere bekamen wir nicht zu Gesicht. Ich verlange mein Geld zurück.

 

Die pace watch richtete heute an die fury watch die Frage, warum New York auch der Big Apple heißt. Wir konnten die Frage nicht beantworten. Ich habe mich das schon vor ein paar Jahrzehnten mal gefragt und es nicht rausgekriegt, aber da gab es auch noch kein Internet mit Google und Wikipedia.

 

Letzte Nacht haben wir uns in der Windstille an Deck ziemlich munter und ausführlich unterhalten. Zwischendurch wechselten wir vom Spinnaker „Code 2“ auf den „Windseeker“, was bei völliger Flaute aber keinen großen Unterschied macht. Man kommt halt nicht voran. Als Rudergänger hält man dann, so gut es geht, die Nase des Schiffs auf Kurs und hofft, dass jedes Flappen der Segel ein bisschen Vortrieb in die gewünschte Richtung bringt.

 

Gordon fragte mich, während wir unter Sternenhimmel dahindümpelten, über mich aus, und mir fiel auf, dass ich nicht viel über ihn weiß. Überhaupt weiß ich über die Leute an Bord viele Dinge nicht! Es gehört zum Stil an Bord, dass man sich bestimmte Dinge nicht auf die Nase bindet. Andererseits ist aber auch nichts geheim. Der eine Chris ist Banker in der Schweiz, der andere TV-Journalist in London, Lisa war Designerin und hat jetzt Häuser und vermietet sie, Alysoun ist Personalchefin bei einem Handelsunternehmen in der Schweiz. Yasmine kommt aus Deutschland und arbeitet in Luxemburg bei der Nato, Bernd ist Geschäftsführer und Miteigentümer einer Software-Firma in Hessen, Mona war im Catering auf einer Bohrinsel, Edward Schulleiter.

 

Und ich bin Journalist und schreibe über das Rennen (u. a. diesen Blog). Das habe ich natürlich am Anfang gleich gesagt, weil ich nicht will, dass sich jemand ausgehorcht fühlt. Obwohl ich nur selten Fragen stelle und meine Schreiberei ausschließlich in der Freizeit erledige. In erster Linie bin ich Crew-Mitglied, und nichts anderes.

 

Es ist auch kein Thema, ob jemand verheiratet ist oder geschieden oder sonstwas. Jeder ist das, was er hier und jetzt ist. Natürlich kommt bei Gesprächen raus, was uns bewegt. Roser (Mathematikerin,  verliebt) weiß noch nicht, was das Berufsleben für sie bereithält, Gordon (26) ist Bauingenieur und überlegt sich, ob er in der Firma, für die er vor dem Rennen gearbeitet hat, wieder anfängt. Eigentlich hat er keine Lust, es kommt ihm wie ein Rückschritt vor. Lindsey äußerte einmal den Verdacht, dass wir Leute mit zuviel Geld und zuviel Zeit sind, was ich aber nicht glaube. Und sie bestimmt auch nicht.

A

n Bord zählt ausschließlich, ob man okay ist (das sind alle), ob man beim Essen vordrängelt (tut keiner) und wie gut man was kann. Da gibt es erhebliche Unterschiede. Und erstaunlicherweise spielen diese überhaupt keine Rolle im menschlichen Miteinander. Roser kann alles, von der Navi bis zu komplexen Segelmanövern, für ihren Status an Bord sind aber eher ihre gute Laune und ihre Persönlichkeit entscheidend. Gordon ist der denkbar beste Bug- und Mast- und Decksmann und außerdem für den Watermaker verantwortlich, Chris P. ist ein guter Allround-Seemann – und beide sind einfach Leute, auf die jederzeit Verlass ist und mit denen man gern Zeit verbringt. Gordon vertrat eine Zeitlang einen Wachführer, und machte diesen schwierigen Job auf ganz ruhige und entspannte Weise. Es gibt also, unabhängig vom gesellschaftlichen Status oder irgendwelchen technischen Kompetenzen eine menschliche Qualität, die man fühlen und einordnen kann.

 

Irgendwie hat Clipper da eine gute Mischung hingekriegt. Wir sind, wie Malcolm das an seinem Geburtstag ausdrückte, „die beste Crew, die man sich denken kann“. Oder ist es das Leben auf unserem kleinen Schmelztiegel, das unsere positiven Eigenschaften zum Tragen bringt?

 

Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race11 und hier geht's zum vorherigen Artikel.